Da ist es wieder… dieses unbeschreibliche Wohlgefühl, kaum dass man die Alpen hinter sich gelassen hat und dort angekommen ist „wo die Zitronen blühen“. In meinem Fall trifft das berühmte Goethezitat voll ins Schwarze, denn ich befinde mich in „Limone sul Garda“. Wie alle Städte entlang der Riviera dei Limoni am westlichen Gardaseeufer blickt es auf eine vierhundertjährige Tradition im Anbau von Zitrusfrüchten zurück.

In regelmäßigen Abständen bläst mir eine leichte Seebrise den erfrischen Duft von reifen Zitronen ins Gesicht. Mit geschlossenen Augen atme ich diesen tief ein und genieße die ersten Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Das ist „Bella Italia“!

Mit seinen 160 Kilometern Umfang und stolzen 370 km² Oberfläche bettet sich der Lago di Garda geschmeidig in die fruchtbare und abwechslungsreiche Landschaft zwischen den Alpen und der Po-Ebene ein. Der große Bruder des Lago Maggiore und des Lago di Como gehört dabei anteilig zum Trentino, zur Lombardei und zu Venetien. Die Einheimischen bezeichnen ihn liebevoll nach dem Wassergott, der ihn der Legende nach geschaff en haben soll: „Benaco“. Doch wie man ihn auch immer nennen mag, eines steht fest: Seit Jahrhunderten zieht er tollkühne Krieger wie den Hunnenkönig Attila, Renaissance- Künstler wie Andrea Mantegna, aber auch Erholungsuchende wie Sie und mich zuerst magisch an und dann in seinen Bann. Mal ist er so eng wie ein Fjord, dann wieder so breit wie das Meer. Mal ist er stürmisch, ungestüm und grau, und dann wieder sanft, anmutig, lagunenblau. Ganz wie der Lago di Garda lebt auch die Landschaft, die ihn umgibt, von Kontrasten. Und ebenso das Klima, die Vegetation und das gesamte Leben. Folglich könnte die Zauberformel, der sich keiner entziehen kann, lauten: Mediterranes Dolce Vita trifft auf alpinen Bergcharme.

Das „Kalifornien Europas“, wie diese einzigartige Natur- und Kulturlandschaft aufgrund ihrer 2000 Sonnenstunden auch gerne genannt wird, verfügt über eine Fülle an Freizeitmöglichkeiten, die wirklich keine Wünsche off en lässt. Lago di Garda – das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. In erster Linie ist er natürlich eins: ein Paradies für Sonnenanbeter und Badenixen. Bei einer durchschnittlichen Wassertemperatur von 24°C tummeln sie sich an seinen Kiesstränden oder malerischen Badebuchten. Als gigantischer Spielplatz für Aktivurlauber präsentiert sich der Norden. An den majestätischen Felswänden des 2000 Meter hohen Monte Baldo und Monte Brione messen Freeclimber ihre Kräfte und von den sieben, nie verstummenden Winden bei Torbole lassen sich Segler und Surfer auf den Wellen treiben. Mountainbiker radeln auf den Trails von Malcesine aus dem Gipfel entgegen und Wanderer erfreuen sich an den saftigen Blumenwiesen in Tremosine. „Wie bei Bacchus und Lukull“ könnte hingegen das Motto am Ostufer lauten. Olivenplantagen, Weinterrassen und Zypressen bestimmen hier die Toskana-ähnliche Hügellandschaft der „Riviera degli Ulivi“. Im milden Klima gedeihen das „Olio d’Oliva del Garda“ und hervorragende Rotweine wie der Bardolino und der Valpolicella. Besonders viel Spaß macht es, das seit der Antike für sein fruchtig-pikantes Aroma berühmte „fl üssige Gold“ oder den rubinroten, nach Waldbeeren duftenden Roten an einem der lokalen Wein- und Olivenölfeste zu probieren. Traditionell werden dazu Pferdefl eisch und Zickleinbraten oder Lachsforelle und die weltweit wohl einzigartigen Süßwassersardinen aufgetischt. Auf Schritt und Tritt gegnen wir hier auch den Spuren unserer Vorfahren. Stumme Zeitzeugen wie die Felszeichnungen am Monte Luppio, die Pfahlbauten am Ledrosee, die Villa Romana in Desenzano oder die Skaligerburgen bei Malcesine, Lazise und Sirmione (Foto) warten nur darauf, von kleinen und großen Abenteurern entdeckt zu werden. Wer hingegen die Schönen Künste liebt, erfreut sich bestimmt an einem Besuch des „Mart“ in Rovereto, des Garda Jazz Festivals oder der weltberühmten Opernfestspiele in der Arena von Verona.

Ob frisch verliebt oder seit Jahren in ewiger Liebe verbunden: Keine der Gemeinden am See versprüht so viel romantischen Charme wie das mondäne Gardone del Garda. Im exklusivsten Kur-und Badeort am Westufer des Lago di Garda schaukeln elegante Jachten und Segelboote wie bunte Farbtupfer im See und betörender Jasmin, Azaleen und Magnolien laden zum Flanieren an der palmengesäumten Seepromenade ein. Angehörige der europäischen Herrschaftshäuser wie Kaiser Franz Josef, Literaten wie Thomas Mann und auch der erste Nobelpreisträger Paul Heyse haben hier ihre Sommerfrische verbracht, und so liegt auch heute noch ein Hauch von Belle Epoche in der Luft. Gardone ist sich seiner unwiderstehlichen Ausstrahlung natürlich bewusst, und so dürfen sich Romeos und Julias aus der ganzen Welt auf dem Standesamt von Gardone vor märchenhafter Kulisse das Ja-Wort geben.

Bei einem Aperitif auf der legendären Piazza Wimmer genieße auch ich den Glanz alter Tage, der sich im abendlichen Sonnenlicht spiegelt. Mit dem Blick auf die gegenüberliegende Punta San Vigilio lasse ich meine Tage am See Revue passieren. Zuerst denke ich: „Gegensätze ziehen sich an“. Alles, was eigentlich nicht zusammenpasst, fügt sich hier zu einem harmonischen Ganzen. Doch plötzlich habe ich nur noch ein Wort im Kopf: „Superlativ!“ Der Lago di Garda ist der größte See Italiens. An seinem Ufer wachsen die ältesten Zitronen und blasen die stärksten Winde Europas. Menschenhand hat die für Winston Churchill „schönste Straße der Welt“ durch die Brasaschlucht geschlagen, und die Punta San Vigilio ist für den Humanisten Agosto Brenzone sogar der schönste Ort der Welt. Folglich ist der Lago di Garda ein See der Superlative.

„Aber wem haben wir dies alles zu verdanken?“, frage ich mich. Der Nymphe Engardina! Glücklich und zufrieden lebte sie an einem kleinen See auf dem Monte Baldo. Der Wassergott Benaco hatte sich unsterblich in ihre Schönheit verliebt, und unermüdlich freite er um ihre Gunst. Doch erst als er ihr versprach, einen viel größeren See zu schaff en, willigte sie ein, seine Frau zu werden. Sogleich schob Benaco die Berge auseinander und füllte das Tal mit Wasser, das sie mit ihren Haaren in allen nur erdenklichen Blautönen von azurblau bis smaragdgrün einfärbte. So bleibt mir nur noch zu sagen: „Grazie mille“.

Die Autorin Annegriet Camilla Spörndle liebt Italien. Die Begeisterung für romanische Sprachen konnte sie beim Studium an den Universitäten Freiburg, Florenz und Buenos Aires vertiefen. Die Verknüpfung mit dem Journalismus lag nah und so folgten Fachpraktika in Florenz bei der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ und der Fotoagentur „Focus“ sowie ein Volontariat bei der toskanischen Monatszeitschrift „Maremma Magazine“. Die Autorin pendelt zwischen Porto Ercole in der Toskana, Freiburg im Breisgau und Bonn und schreibt in verschiedenen Medien über ihre Lieblingsthemen Reise, Kunst und Kultur. Für SPA inside war sie rund um den Gardasee unterwegs, so auch im Giardino Botanico von André Heller.