In der Profi- und Sterneküche haben noch immer Männer das Sagen – anders als zuhause. Warum nehmen eigentlich so wenige Frauen die Spitzenpositionen der Gastronomie ein? Plädoyer für einen dringenden Kurswechsel. (Foto: Douce Steiner mit ihrem Mann Udo Weiler. Foto: Michael Wissing)
Es scheint paradox: Trotz aller emanzipatorischen Bestrebungen der vergangenen 100 Jahre führen am heimischen Herd noch immer überwiegend Frauen das Zepter – aber eben auch nur dort. In Sachen Profi- und Sterneküche haben dagegen die Männer das Sagen. So gilt das alltägliche Kochen für die Lieben zu Hause bis heute als selbstverständliche, aber nicht weiter erwähnenswerte Disziplin im Kanon häuslicher Pflichten. Das Kochen im Restaurant wurde von den Männern dagegen zur hohen Kunst geadelt. Darüber kann auch die mediale Präsenz etablierter Kochprofis wie Sarah Wiener, Cornelia Poletto oder Lea Linster in bundesdeutschen Wohnzimmern nicht hinwegtäuschen. Ja viele alte Haudegen halten die Restaurantküche gar für eines der letzten Rückzugsgebiete echter Machos. So erklärte Altmeister Paul Bocuse einmal: „Frauen gehören ins Schlafzimmer, nicht in eine Profiküche.“ Dabei war Bocuse’ Lehrmeisterin niemand geringeres als Eugenie Brazier, von allen nur Mère Brazier genannt, die vielleicht einflussreichste Köchin des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig mit sechs (!) Michelinsternen für ihre beiden Restaurants geadelt. Ihrem rüpelhaften Schüler, hätte er diesen Kommentar in ihrer Küche gemacht, hätte sie sicher die gusseiserne Bratpfanne um die Ohren gehauen. Dass professionelles Kochen noch immer eher eine Männerdomäne ist, diesen Eindruck vermitteln Ausbildungseinrichtungen selbst heute noch. So heißt es im Werbetext einer berufsbildenden Schule, mit dem junge Menschen animiert werden sollen, zur Kochschürze zu greifen. Überschrift „Wir lassen nichts anbrennen“: „Kochen ist Adrenalin pur: Stress, Geschwindigkeit, Genauigkeit, Flexibilität, Zeitdruck, Kreativität – Kochen ist Leidenschaft.“ Nicht sehr wahrscheinlich, dass sich 16-jährige Mädchen hier angesprochen fühlen – könnte ähnlich ja auch Nachwuchs für die Formel 1 angeworben werden. Kein Wunder also, dass ganze zehn Prozent aller Berufsköche weiblich sind. In der Spitzengastronomie ist das Geschlechterverhältnis noch unausgewogener. Die Zahl hiesiger Sternerestaurants, in denen Frauen innerhalb der weißen Brigade den Ton angeben, liegt unter fünf Prozent. Im Bereich der Exekutive-Chefs großer Hotels sieht es ähnlich düster aus.
Nur wenige schaffen es
Gleichzeitig ist der Frauenanteil in den Topteams der Sternegastronomie paradoxerweise überdurchschnittlich hoch. Nur bis ganz nach oben schaffen es die wenigsten. Interessanterweise sind die Frauen, die es zu höchsten Weihen bringen – wie Anne-Sophie Pic, Johanna Maier, Sissy Sonnleitner, Lisl Wagner-Bacher, Nadia Santini oder Elena Arzak – dann oft Autodidaktinnen oder Quereinsteigerinnen, die gar keine reguläre Ausbildung absolviert und das Kochen von ihren Müttern oder Großmüttern gelernt haben. Oder sie sind Töchter aus gastronomischen Familienbetrieben, denen das Kochen mehr oder weniger in die Wiege gelegt wurde. Aufstieg in die Königsklasse Erst 2012 ist in Deutschland mit Douce Steiner aus dem südbadischen Sulzburg, ebenfalls Inhaberin eines traditionsreichen Familienbetriebs, erstmals eine deutsche Köchin in die Königsklasse der Zwei-Sterne-Restaurants aufgestiegen. 33 Jahre nachdem Doris-Katharina Hessler hierzulande als erste Frau überhaupt einen Stern erkochen konnte. Und selbst in Frankreich ist Anne-Sophie Pic seit 1933 die erste und einzige Frau, der es gelungen ist, neu in den Drei-Sterne Olymp aufzusteigen – das war 2007. Erklärungen dafür gibt es viele. Natürlich ist der Kochberuf hart. Er verlangt hohen körperlichen Einsatz und der Umgangston in vielen Küchen erinnert eher an einen Kasernenhof – was nicht weiter verwundert, entstand der Beruf des Koches vor mehr als 5000 Jahren doch ursprünglich beim Militär. Wochenend- und Feiertagsarbeit sind die Regel, oft kommt man erst nach Mitternacht aus dem Betrieb und muss am nächsten Morgen schon wieder in der Küche stehen. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Aber gerade darin wird das noch immer vorherrschende Rollenmodell deutlich: Im Zweifelsfall sind die Kinder eben doch eher das Problem der Mutter, die ihren Beruf zu Gunsten der Familie aufgibt. Oder die Frauen entscheiden sich für Positionen in der zweiten Reihe und mit kalkulierbaren Arbeitszeiten – etwa als Kantinenköchinnen.
Gleichzeitig liegt der Anteil weiblicher Schüler in den berühmten kulinarischen Kaderschmieden wie dem Culinary Institute of America in New York, dem Institut Paul Bocuse in Lyon oder der Cordon Bleu Akademie in Paris deutlich höher als jene eingangs erwähnten zehn Prozent. Aber irgendwo auf dem Weg bleiben viele Frauen einfach auf der Strecke oder wechseln das Metier. Für sie ist die Küche dann nur eine Durchgangsstation. Denn: Wer einmal – im wahrsten Sinne des Wortes – durchs Feuer gegangen ist, hat gute Chancen, beim Wechsel ins Hotelfach schnell eine Führungsposition zu ergattern. Gelten Absolventinnen dieser Eliteschulen in der Branche doch als extrem belastbar und perfekt organisiert. Ein echter Verlust für die Küche, weil gerade weibliche Absolventinnen besonders talentiert sind. Was die Frage aufwirft: Gibt es eigentlich eine weibliche Art zu kochen?
Aus dem Bauch heraus
Die Hamburger Sterneköchin Anna Sgroi sagte dazu einmal in einem Interview: „Frau kochen mehr aus dem Bauch heraus, und sie haben mehr Gefühl, einen Teller geschmackvoll anzurichten.“ Bei Männern dagegen werden „viel mehr Zutaten verwendet, da geht alles mehr vom Kopf aus. Frauen kochen weniger um etwas zu beweisen, sie sind ja von sich überzeugt und machen die Dinge deshalb bewusst schlichter.“ Und ihre französische Kollegin Anne-Sophie Pic erklärt: „Natürlich ist gute Küche unabhängig vom Geschlecht. Dennoch versuche ich meine Persönlichkeit so weit als möglich in meinen Küchenstil und meine Dekorationen einfließen zu lassen. Und als Frau habe ich nun mal eine andere Sensibilität. Wozu sollte ich das leugnen?“ Eines jedenfalls steht fest: Wenn sich Sterneköche heute zunehmend wieder auf Regionalität berufen und eine neue Bodenständigkeit Einzug in die Profiküchen hält, die das Essen von intellektuellen Überspanntheiten befreit und das Thema echter Genuss wieder in den Vordergrund rückt, so ist das nicht zuletzt ein Verdienst kochender Frauen.
Die ersten weiblichen Spitzenköchinnen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden gefeiert, weil sie traditionelle, über Jahrhunderte überlieferte Familienrezepte einerseits bewahrten, aber gleichzeitig modernisierten, verfeinerten und so wahrlich salonfähig gemacht haben. Was in der Folge Generationen ihrer männlichen Kollegen geprägt hat und heute wieder als kulinarischer Schatz erkannt wird. So nennt Hélène Darroze, die im gleichnamigen Pariser Feinschmeckertempel am Herd steht, ihre Küche deshalb in Abgrenzung von der ihrer männlichen Kollegen denn auch nicht Haute Cuisine sondern Haute Rustique. Denn in ihrem Restaurant soll man nicht vor Ehrfurcht vor gedrechselten Tellerkunstwerken erstarren, sondern sich schlicht wie zu Hause fühlen. Schon aus diesem Grund brauchen wir dringend mehr Frauen in den Spitzenpositionen der Gastronomie.
BUCHTIPP Von der Milchsuppe zu den Kochsuperstars von heute: Katja Mutschelknaus erzählt in ihrem Buch „Frauen mit Geschmack – Vom Vergnügen, eine gute Köchin zu sein“ Anekdoten aus der Geschichte der Herrscherinnen am Herd. Ein lesenswerter Streifzug durch die weibliche Seite der Kochkunst (Elisabeth Sandmann Verlag, 160 S., 24,95 Euro)