Die Megatrends Globalisierung, Individualisierung und Digitalisierung sind im Handel angekommen. Insider zeigen auf, wie Shops der Zukunft aussehen, was die Kunden erwarten und wie die Offline- und Online-Welten miteinander verschmelzen. Wie sieht der Shop der Zukunft aus? Und wie vollzieht sich der Wandel vom Point of Sale zum Point of Experience? Im Interview: Frank Dittel von Dittel Architekten in Stuttgart.
Herr Dittel, der Kunde von heute sucht beim Einkaufen Inspiration und Erlebnis. Eine Herausforderung für den stationären Handel. Was muss der Store der Zukunft bieten?
Frank Dittel: Der Store der Zukunft muss das bieten, was der Konsument von morgen sucht. Aus unserer Sicht ist dieser sehr auf Individualität und Selbstverwirklichung bedacht, freiheitsliebend und anspruchsvoll. Da sämtliche Produkte online gekauft werden können, der Point of Sale sich also ins Netz verschiebt, muss der stationäre Handel etwas bieten, das den Konsumenten ins Geschäft lockt: Der Store wird zum Point of Experience. Der Store der Zukunft muss auf diesen Wandel nicht nur reagieren, sondern schon im Vorfeld agieren. Wir beobachten, dass Stores künftig von einer starken Markenidentität leben, einer Vorreiter-Haltung. Der Besuch wird zum Identitätsmerkmal der eigenen Persönlichkeit. Es ist weniger interessant, was gekauft wird, sondern vielmehr welcher Store mit welchem Ambiente, Look, Lifestyle und Stil regelmäßig frequentiert wird. Die Emotionalisierung der Marke ist also ein entscheidender Faktor zur Kundengewinnung und -bindung.
Welche Auswirkungen hat das auf das Produktangebot?
Frank Dittel: Wenn früher ein möglichst breites Produktangebot attraktiv war, ist es heute die selektive Produktinszenierung, das Angebot heiß begehrter Nischenprodukte und die temporäre Integration „neu entdeckter“ Labels und Trends. Es geht um Exklusivität und Inszenierung. Die attraktivitätssteigernde Spange, das heißt die Inszenierung der Produkte mittels Materialitäten, Farbigkeiten und Platzierung liegt in der Hand des Architekten. Und: Service ist und bleibt DAS Schlagwort, an dem sich entscheidet, ob ein Shop erfolgreich wird. Service beginnt beim Eintritt in ein intuitiv zugängliches Raumkonzept, das den Konsumenten ohne Anstrengung durch den Laden führt – in einer ihm angenehmen Atmosphäre. Beratung: In diesem Store steht geschultes Fachpersonal bereit, das den Lifestyle des Kunden erkennt und beim Produkttest beratend zur Seite steht. Dienstleistung: Im Falle „Mußler Beauty by Notino“ entsteht das Erlebnis in der Integration von Beauty-Dienstleistungen. Der Konsument kann sich
frisieren und schminken (lassen) und sämtliche kosmetischen und gesundheitsbezogenen Analysen durchführen. Er verlässt den Laden nicht unbedingt mit einem Produkt in der Tasche (das er später jederzeit online kaufen kann), aber sicherlich mit neuem Wissen über sich selbst. Hospitality: Die Integration von Verweilplätzen wie Lounges oder gemütliche Sessel mit Freigetränken transportiert Gastfreundschaft, Geselligkeit und Pause – Faktoren, die aus der Gastronomie kommen und sich definitiv positiv auf den Retail auswirken.
Wie eben erwähnt – in Stuttgart haben Sie einen Store der Zukunft schon umgesetzt. Was war Ihnen bei der Umsetzung von Mußler Beauty by Notino besonders wichtig?
Frank Dittel: Das Raumkonzept besteht aus einem roughen Rahmen, der sich in einem grauen Fliesenboden und der offen gelegten schwarzen Decke zeigt und einen modernen, industriellen Charakter vermittelt. Zugleich finden sich im Raum weiche, sanfte Materialien und Farben. Diese sehr junge und trendige Designsprache kündigt auf den ersten Blick an: Hier ist was anders. Die Fläche bietet großzügige Gänge, einen intuitiven Rundgang und klar definierte Produktplatzierungen. Die Lounge im Zentrum sendet ein klares Wohlfühlsignal. Erlebbare Vielfalt. Die unterschiedlichen Angebote werden themenspezifisch in individuelle Material- und Farbkompositionen übertragen, die sich unter anderem in der Gestaltung der Rückwand widerfinden. So erkennt der Konsument schon von weitem das Thema der Nische. Innerhalb des harmonischen Rahmens arbeiten wir gerne mit Gegensätzen. Sie reizen, sind humorvoll und erzählen eine Geschichte.
Was hat es mit dem Trend des Showroomings auf sich?
Frank Dittel: Showrooming bedeutet, dass das Produkt im Store getestet und erlebt, aber nicht zwingend gekauft wird – letzteres kann online geschehen. Showrooming ist das Mittel zum Erlebnis und damit zur Kundengewinnung und -bindung. Wir können mit diesem Trend noch viel Neuartiges erwarten. Mit den technologischen Möglichkeiten wie beispielsweise Augmented Reality findet Produktinszenierung in einer ganz anderen Dimension statt. Um das Produkt / die Marke wird eine Story gebaut.
Auch die Verbindung von Online und Offline gilt es erlebbar zu machen. Wie gelingt das? Welche Ideen haben Sie bereits umgesetzt?
Frank Dittel: Die Verschmelzung von Online- und Offlinehandel ist ein zukunftsentscheidender Schritt für Händler. Was Mußler Beauty by Notino beispielhaft zeigt, ist der gegenseitige Mehrwert. Dass Offlinehändler sich mit dem Onlineverkauf befassen müssen, ist längst bekannt. Dass Onlinehändler verstärkt den stationären Handel aufsuchen, um ihrer Marke ein Gesicht zu geben und sie erlebbar zu machen, ist noch relativ jung. Die Verbindung beider Händler unter einem Dach mit einer Designsprache war eine besondere Herausforderung für uns. Bei der Integration von Online im stationären Handel steht ein reibungsloser Ablauf und intuitive Bedienbarkeit an erster Stelle. Der Kauf per Klick, sei es im Laden oder zuhause sollte so simpel wie möglich sein. Aus architektonischer Sicht ist unser Anspruch, digitale Hilfsmittel „seamless“ in die Architektur zu integrieren.
Früher galt als Maßstab, sein Geschäft alle sieben Jahre zu überarbeiten und zu modernisieren. Und heute?
Frank Dittel: Der Store wandelt sich heute viel kurzfristiger. Gerade im Zuge der Digitalisierung gilt es, sich ständig neu zu erfinden. Schlagworte wie temporärer Verkauf und Pop-Up-Store reagieren auf den Anspruch des Konsumenten, regelmäßig was Neues und Exklusives zu sehen und überrascht zu werden. Flexibilität und Modularität sind deshalb wichtige Begriffe im Designkonzept. Der Händler kann kleinere Anpassungen unternehmen, ohne die gesamte Fläche anfassen zu müssen. Bei Mußler Beauty by Notino setzen wir auf flexible Möbelelemente und eine großzügige Fläche, die sehr vielseitig gestaltet und genutzt werden kann. Zugleich bietet die integrierte Pop-Up-Fläche Platz für wechselnde Produkte. Gleichzeitig versuchen wir eine Symbiose aus trendigen und zeitlosen Materialien zu schaffen, um ein spannendes, aber zugleich nachhaltiges Konzept zu erreichen.
„Hospitality ist das neue Retail“, so Ihre Aussage. Wie wird Gastfreundschaft für den Verbraucher erlebbar?
Frank Dittel: Gastfreundschaft beginnt beim Eintritt in den Store. Raumkonzept und Atmosphäre heißen den Gast willkommen. Flächen für Kommunikation oder Rückzug vermitteln ein Wohlgefühl. Gastfreundschaft äußert sich im Service. Der Einzelhandel kann hier von Gastronomie und Hotellerie lernen. Nur wem es gelingt, zum Verweilen anzuregen, hat die Chance, sein Angebot erfolgreich zu platzieren.