Zum Jahresanfang hat INSIDE beauty Insider gebeten, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Auf welche Veränderungen sowohl im berufl ichen als auch im privaten Bereich müssen wir uns einstellen? Worauf legen die Verbraucher künftig besonderen Wert? Und wie werden wir einkaufen? Susanne Stoll sprach mit Trendforscherin Nora Urscheler über Männer als Zielgruppe.
Frau Urscheler, wenn es darum geht, Männer als Zielgruppe anzusprechen, raten Sie zur Diff erenzierung. Worin unterscheiden sich moderne Männer?
Nora Urscheler: Innerhalb der heutigen westlichen Gesellschaft unterscheiden wir drei breite Konsumkulturen von Männlichkeiten. Das ist zum einen der Trend „Male Core“, bei dem es darum geht, ästhetische Zeichen, die kulturell als „normal männlich“ bekannt sind, so weit zu betonen, bis man durch seine besonders maskuline Erscheinung in der Individualisierung auffällt. Dieser Trend beschreibt den Mainstream der männlichen Konsumkultur und wird beispielsweise in der auffälligen Häufung Defender-fahrender Herren mit Fellkapuze und vom Barbier sorgsam gepflegten Vollbart sichtbar. Die „Now Male“-Kultur definiert Männlichkeit auf eine progressive Art neu. In diesem Trendumfeld bedient man sich der Kulturtechnik der Coolness, um so Zeichen, die wir in unserer Gesellschaft als nicht männlich wahrnehmen, zu übernehmen und männlich zu machen. Diese Männer machen beispielsweise die Betreuung der eigenen Kinder zu etwas neuartig Männlichem. Die Jugend hingegen, die ich im Trend „Post Male“ beschreibe, zeigt sich fluid, mutig und experimentierfreudig.
Nehmen wir an, es geht darum, einen passenden Herrenduft zu finden … inwiefern unterscheiden sich Ansprache und Beratung?
Nora Urscheler: Sie unterscheiden sich relativ stark. Wobei das nicht heißen soll, dass man sich mit demselben Duft nicht an mehrere Konsumkulturen richten kann. Während in der „Male Core Culture“ ein Umfeld am POS und eine Beratung geschätzt wird, die das anachronistisch Männliche eines Duftes und auch des Kaufaktes an sich herausstellt, würde man in der „Now Male Culture“ durchaus einen Damenduft kaufen. Hier müsste dann darauf geachtet werden, das Rebellische und Disruptive hervorzuheben. In der Post Male Culture hingegen schätzt man den Freiraum, selber Hacks zu kreieren. Für diese jungen Männer ist es kein Problem, eine Damenabteilung zu betreten. Hervorzuheben wären für sie allerdings Geschichten, die das Weibliche, das den Düften innewohnt, adaptieren in etwas Fabelhaftes, Sensibles und Unschuldiges.
Von 0815 zur Individualität. Heißt das, eine Fachverkäuferin sollte gezielt Fragen stellen und genau hinhören?
Nora Urscheler: Eine gute Fachverkäuferin braucht heute vor allem ein gutes Auge und eine breite Kenntnis blühender und aufkommender Lifestyles, um ihren Kunden zu erkennen und sich in seine Lebenswelt einfühlen zu können. Zwischen aktiver Beratung und in Ruhe stöbern lassen, kann alles richtig sein. Ich denke die Fachverkäuferin von heute scrollt, wenn es gerade ruhig im Laden ist, auf Insta und macht in ihrer Freizeit eigene YouTube Beauty Tutorials.
Wenn es um Schönheit und Pflege geht, hört man zunehmend das Stichwort „Optimierung“. Ist das auch bei Männern ein Thema? Mit welchen Angeboten kann die Parfümerie bei den „Optimierern“ punkten?
Nora Urscheler: Das ist bei Männern ganz sicher ein sehr zentrales Thema. Man darf jedoch nicht unterschätzen, dass die Fähigkeit komplexe Konsumentscheidungen zu treffen, die die eigene Schönheit und individuelle Erscheinung betreffen, in unserer Kultur bis vor sehr kurzer Zeit noch weiblich konnotiert war. Heute haben Männer in der Individualisierung, in der die eigene Wahlfreiheit und Entscheidungskompetenz Status bedeutet, gewissermaßen einen Wettbewerbsnachteil. Das macht es noch wichtiger, die Ansprache fein zu differenzieren, weil sie je nach Kultur anders aufgefasst werden kann. Das zählt natürlich ganz besonders bei Optimierungsprodukten wegen der höheren Komplexität von Produkt und erzielter Wirkung.
Sind Multi-Channel-Erlebnisse auch bei Männern gefragt? Welche Faktoren sollten berücksichtigt werden?
Nora Urscheler: Das gilt selbstverständlich auch bei Männern und fließt in das alles beherrschende Thema der Redefinition des stationären Handels mit fortschreitender Digitalisierung ein. Als Faktoren, die die Ansprache von Männern begünstigen, können hier wohl am ehesten ein gewisses Bedürfnis nach Simplicity und Minimalism genannt werden. Grundsätzlich zeigt die Forschung, dass die Rollen von punktgenauer Präsentation und einzigartigem Design als Wettbewerbsvorteil wichtiger geworden sind. Unabhängig vom Kanal sind gerade Männer in diesen Zeiten auf der Suche nach Brands, an denen sie ihre Identität manifestieren können. Sie erkennen diese Marken zuallererst an den visuellen Zeichen, die diese setzen.
Nora Urscheler, Expertin für Popular Culture, forscht, berät und konzipiert mit ihrer Firma ELSTA, was für Konsumenten heute und in Zukunft relevant ist.
www.elsta.ch