Ob Jakobsweg nach Santiago de Compostela, Wallfahrt nach Jerusalem oder Hadsch nach Mekka – seit jeher pilgern Menschen unterschiedlicher Religion meist zu Fuß zu einem heiligen Ort. Mit einem gemeinsamen Ziel, auf dem langen Weg den Alltag zu vergessen und sich beim Gehen auf seinen Glauben zu besinnen. Heutzutage pilgern auch immer mehr Menschen, die nicht gläubig sind, die das meditative und spirituelle Wandern zum Bewusstwerden oder zur Sinnsuche nutzen – sei es, um eine Entscheidung zu treffen, über sich oder das Leben nachzudenken oder in einer schwierigen Zeit Kraft und Zuversicht zu tanken. Doch, wie gelingt Pilgern in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen? Wie pilgert man zu Hause?
Die ausgebildete Pilgerwegbegleiterin Simone Krampfl aus dem Bayerischen Wald begleitet Wanderer auf dem Europäischen Pilgerweg Via Nova*. Sie weiß Rat und empfiehlt als Alternative zur klassischen Pilger-Wanderung eine Geh-Meditation. Diese hilft, mit Achtsamkeit gestärkt durch Krisenzeiten zu kommen und Kraft und Zuversicht aus dem Inneren zu schöpfen.
„Um zu lernen, achtsamer mit sich selbst umzugehen und auf seine innere Stimme zu hören, sollte man sich unbedingt einige Minuten Zeit nehmen, um die eigenen Schritte, Berührungen sowie die eigene Bewegung bewusst wahrzunehmen. Ideal wäre es, hierzu in den Garten, in den Park oder auf eine Wiese zu gehen, aber natürlich ist die Übung auch in den eigenen vier Wänden machbar. Wichtig ist nur genügend Freiraum, damit man bei der Geh-Meditation ungestört ist und sich voll und ganz auf die Übung einlassen kann“, ergänzt die Pilgerwegbegleiterin. Für die Übung sollten bestenfalls die Schuhe und Strümpfe ausgezogen werden, damit man barfuß den Boden unter den Füßen noch bewusster spürt.
Als Einstieg in die Weg-Meditation helfen zunächst die klassischen drei Schritte der Pilgerschaft: „Der erste Schritt steht stellvertretend für Demut. Er ist mit der Geste der tiefen Verbeugung verbunden. Der zweite Schritt ist das Loslassen oder das Mitgefühl. Dazu hält man die Hände geschlossen nach vorn. Der dritte Schritt symbolisiert das Empfangen oder das Vertrauen. Hierzu werden die Hände geöffnet, die Handrücken zeigen dabei nach unten und man führt die Hände in Form einer Schale nach vorne. Abschließend werden die Hände flach übereinander auf der Brust abgelegt“.
Dann setzt Simone Krampfl ihr Achtsamkeitscoaching in persönlicher Ansprache fort: „Betrachte deine Füße und stelle ganz bewusst einen Fuß nach dem anderen auf, indem du den Fuß von der Außenkante bis hin zum Fußgewölbe langsam aufsetzt. Deine Beine sind hüftbreit geöffnet. Setze diese Übung mit deinem anderen Fuß fort. Du spürst deine Füße stark und kraftvoll mit dem Boden verwurzelt. Bist du dir deiner Schritte bewusst? Schließe nun die Augen und nimm einen tiefen Atemzug. Mit der Ausatmung lässt du dich tief in die Erde sinken. Nun hebe im Zeitlupentempo das rechte Bein an und setze langsam deinen Fuß, mit der Ferse beginnend, auf den Boden auf. Indem du das Gewicht leicht nach vorne verlagerst, kannst du den ganzen Fuß aufsetzen. Führe das gleiche mit dem linken Fuß aus: Hebe das Bein an, setze die Ferse bewusst auf und rolle die Fußsohle nach vorne ab. Mache kleine Schritte und bewege dich bewusst vorwärts. Hierbei geht es nicht darum, eine große Distanz zurückzulegen, sondern jeden Schritt achtsam auszuführen und den Boden unter deinen Füßen zu spüren. Übe dich in deiner Langsamkeit und in deiner Achtsamkeit und nehme an, was gerade in dir geschieht.“
*Die Via Nova ist ein im Juli 2004 neu geschaffener, europäischer Pilgerweg, der kein bestimmtes Ziel hat, sondern alte Wallfahrtsrouten vereinigt. Die VIA NOVA verbindet mit drei Hauptsträngen und einigen Nebenwegen Weltenburg/ Kelheim, Bogen in Bayern, Příbram in Tschechien und St. Wolfgang im Salzkammergut. Ein Großteil der Strecke führt durch Ostbayern mit den Urlaubsregionen Bayerischer Wald und Bayerisches Golf- und Thermenland.