Es ist das Licht, ganz klar. Als ich mit dem Taxi in Lissabons Innenstadt ankomme, weiß ich, was die Reiseführer und Romanautoren meinen: Die Stadt leuchtet. Mal in einem zarten Gelb, mal ist es ein warmes Orange oder auch ein strahlendes Gold. Je nach Uhrzeit, Wetterlage und Tag malt die Sonne ein anderes Licht auf die Hügel, pastellfarbenen Häuschen und das Wasser vom Fluss Tejo. Wie passend, denke ich, dass die wunderbaren Aussichtsplattformen in der Stadt, die Miradouros heißen, übersetzt „Gold sehen“ bedeuten.
Sunset-Cruise und Bacalhau
Von einem besonders schönen Miradouro aus, dem Portas do Sol im Bezirk Alfama, beginne ich damit, Lissabon zu erkunden. Die hügelige Geografie von Portugals Hauptstadt im Südwesten des Landes trainiert nicht nur die Beinmuskeln, sondern lässt einen den Blick auf Lissabon in vergnüglicher Weise ändern. Mal liegt es einem zu Füßen, dann wieder schaut man zu ihm hinauf. Das „San Francisco Europas“ soll der Sage nach der griechische Held Odysseus gegründet haben, eben weil ihn das besondere Licht so fasziniert hat. Laut Historikern waren es jedoch die Phönizier, die die Stadt um 1200 vor Christus für sich entdeckten. Sei’s drum, ein Hingucker ist definitiv das glitzernde Wasser vom Tejo, der direkt in den Atlantik mündet. Er ist ideal, um die Stadt aus einer weiteren Perspektive zu erkunden. Und zwar vom Wasser aus bei einer Sunset-Cruise. Gestartet wird am Verkehrsknotenpunkt Cais do Sodré, es geht unter der herrlichen Hängebrücke Ponte 25 de Abril durch, einem Ebenbild der Golden-Gate-Bridge in Amerika, vorbei am futuristischen Museum für Kunst, Architektur und Technologie, dem MAAT, und noch weiter raus. Bis zum Torre de Belém und dem beeindruckenden Denkmal der Entdeckungen, dem Padrão dos Descobrimentos. Herrlich! Wer sich nicht satt sehen kann an der untergehenden Sonne und dem Tejo, setzt sich am Cais do Sodré in die Open-Air-Bar „Ribeira das Naus“. Oder nimmt die nächste Fähre und schippert rüber nach Cacilhas in den Bezirk Almada. Dort gibt es etwa 15 Gehminuten vom Anleger entfernt das wunderbare Lokal „Atira te ao rio“. Gäste sitzen nur einen Meter vom Fluss entfernt und können diverse Varianten vom Bacalhau, Lissabons National-Fisch, probieren. Zurück in der Altstadt will ich meine müden Beine schonen und mit der Straßenbahn zum Hotel fahren. Ganz gemütlich, denke ich. Doch da habe ich mich geirrt: Die kleinen, gelben Fahrzeuge zuckeln nicht, sie rasen eher wie MiniAchterbahnen durch Lissabons enge Gassen und steile Häuserschluchten. Ich jauchze innerlich wie ein Kind und sauge die einmalige Atmosphäre der hell erleuchteten Stadt auf. Eine besonders schöne Route bietet die Linie 28. Sie fährt an insgesamt 38 Stopps vorbei über eine Strecke von sieben Kilometern. Knapp eine Stunde dauert der Spaß. Highlights: das Viertel São Vicente de Fora mit seiner wunderschönen Kirche und die Kathedrale Sé Patriarcal. Beim Stopp auf der Praça Luís de Camões hat man außerdem einen herrlichen Ausblick auf das elegante Altstadtviertel Chiado. Auch die Basílica da Estrela und der Jardím de Estrela sind sehenswert. Tipp: Steigen Sie an der Endstation Campo Ourique ein, dann ergattern Sie am ehesten noch einen Sitzplatz. Alternativ bietet sich die Linie 12 an, die nur 20 Minuten fährt, aber teils dieselbe Strecke zurücklegt wie die 28.
Im Bairro Alto schlägt das Herz der Stadt
Es ist hip, modern und das Herz Lissabons. Hier lassen sich tagsüber jahrhundertealte Häuser bewundern – abends wird gefeiert oder dem bewegenden Fado-Gesang gelauscht. Bestes Beispiel für die attraktiven Gegensätze Lissabons ist das Viertel Bairro Alto, wörtlich übersetzt die „Oberstadt“. Einst verfallen und von Kriminalität beherrscht, erstrahlt der Bezirk seit 2003 in neuem Licht. Und zwar autofrei mit vielen angesagten Bars, Restaurants und Cafés. In sogenannten Tascas isst es sich besonders günstig für rund acht Euro.
Von Fado und Azulejos
Einige dieser Tascas, etwa die Tasca do Chico, bieten auch einen Fado – das traditionell-melancholische Gesangschauspiel, das in fast völliger Dunkelheit stattfindet und als Ausdruck des typisch portugiesischen Lebensgefühls gilt. Der Raum ist dabei nur erhellt von einigen Kerzen, dazu gibt es Klänge einer Gitarre und den Gesang von bewegenden Texten. Ein Ereignis, das nachdenklich stimmt und zugleich fasziniert – selbst wenn die Sprache einem fremd ist. Die Geschichte des Fado können Sie im gleichnamigen Museum im Stadtteil Alfama näher kennenlernen (www.museudofado.pt). Im Bairro Alto gibt es noch viel mehr zu sehen. Die Kirche Igreja de Sao Roque etwa oder der wohl schönste Aufzug, in dem ich je stand: der Elevador de Santa Justa, auch Elevador do Carmo genannt, 1902 nach Plänen des Ingenieurs Raoul Mesnier de Ponsard errichtet. Mit seinen 45 Metern Höhe verbindet die imposante Stahlkonstruktion das Bairro Alto mit dem Viertel Baixa. Wer nicht so gut zu Fuß ist, steigt statt vieler Treppenstufen für ein paar wenige Euro in den Fahrstuhl und wird mit einem herrlichen Ausblick über Lissabon belohnt. Ebenfalls ein schönes Fotomotiv: Azulejos, die blau-weißen und farbenfrohen portugiesischen Kacheln. Man findet sie an alten Hausmauern, in Hinterhöfen, aber auch auf Restaurant-Toiletten oder in Cafés – die historisch wertvollen im gleichnamigen Museum, wo auch Kurse zum Selbstbemalen angeboten werden (www.museudoazulejo.gov.pt). Zu all der beeindruckenden Kultur, die Lissabon bietet, gehört selbstverständlich auch das kulinarische Erbe. Besonders die Pastéis de Nata, Vanillecreme-Törtchen umhüllt von Blätterteig. Die Kette „Manteigaria“ gegenüber dem luxuriösen Fünf-Sterne Hotel Bairro Alto im gleichnamigen Viertel bietet eine der besten Pastéis und noch dazu Live-Baking, denn im Geschäft werden die handtellergroßen Köstlichkeiten hinter Glasscheiben frisch von Hand gefertigt. Unbedingt kosten! Längere Schlangen bilden sich etwas außerhalb, im Stadtteil Belém, vor der blau-weiß gekachelten „Fábrica dos Pastéis de Belém“. Dort gehen täglich rund 35 000 (!) Pastéis über die Ladentheke. Die „Fabrik“ gilt als Geburtsstätte des Gebäcks, denn im Hieronymus-Kloster nebenan, dem Unesco-Weltkulturerbe Mosteiro dos Jerónimos mit seiner unverkennbaren, spätgotischen Kalksteinfassade, fertigten die Mönche im 19. Jahrhundert erstmals Pastéis. Die prachtvolle Anlage symbolisiert das Goldene Zeitalter der Stadt, als die portugiesischen Seefahrer wertvolle Beute machten und der rege Handel Reichtum und Macht brachte. Heute ist Lissabon eine Großstadt mit Charme, Poesie und Herzlichkeit. Und natürlich mit einem wunderbaren Licht.
Nina Zeller