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Freitag, 20. Dezember 2024

Studie: Warum schwindende Angst und fehlende Erfolgserlebnisse die Corona-Maßnahmen untergraben

Psychologische Mechanismen führen zu einem erkennbaren anderen Verhalten als im ersten Lockdown – und erschweren so die Einhaltung der Corona-Maßnahmen. Gründe sind vor allem die schwindende Angst vor einer Erkrankung, fehlende Erfolgserlebnisse angesichts stetig hoher Infektionszahlen und die als intransparent und inkonsistent erlebten Regeln. Dies ist das zentrale Ergebnis einer tiefenpsychologischen Studie des Kölner rheingold Instituts (01/2021), das seit Anfang der Pandemie die Verfassung der Menschen intensiv erforscht.

Wer die Menschen jetzt motivieren will, muss sowohl klare Leitplanken und gleichzeitig eine Zukunftsperspektive vorgeben.

Stephan Grünewald, Psychologe

„Bei den Menschen hat sich mittlerweile eine Corona-Routine eingespielt, gleichzeitig sind sie zermürbt, da ihre Entbehrungen nicht von Erfolg gekrönt sind“, sagt Stephan Grünewald, rheingold-Chef und Mitglied des Expertenrates der Landesregierung NRW. Zudem erleben viele Bürger, dass die öffentlichen Institutionen nicht in der Lage sind, die beschlossenen Maßnahmen konsequent umzusetzen oder zu überwachen. Eine große Zahl der Bürger wünsche sich von ihrer Regierung daher Geschlossenheit, Transparenz, Klartext und Konsequenz. „Wer die Menschen jetzt motivieren will, muss sowohl klare Leitplanken und gleichzeitig eine Zukunftsperspektive vorgeben“, sagt der Psychologe.

Hier eine Zusammenfassung der Untersuchung (Januar 2021):

1. Viele Menschen haben derzeit weniger Angst als beim ersten Lockdown

Der zweite Lockdown wird von vielen Bürgern anders erlebt als der erste Lockdown im Frühjahr 2020. Im letzten Jahr standen viele unter dem Bann der schrecklichen Bilder aus Bergamo und der Ungewissheit, welche Auswirkungen der neue Virus haben wird. Die Lage damals wurde als eine abenteuerliche Ausnahmesituation erlebt, die viele Ängste heraufbeschwor und dazu führte, dass das öffentliche und private Leben weitgehend heruntergefahren wurde. Die Probanden berichten, dass sie darauf geachtet haben möglichst wenig Leute zu treffen, dass sie ständig ihre Hände desinfiziert haben und panisch wurden, wenn im Supermarkt oder anderswo die Abstandsregel nicht eingehalten wurde. Heute ist für viele Corona bereits Teil ihrer Alltagswirklichkeit und es hat sich eine Corona-Routine entwickelt. Die eigene Angst wird nicht mehr als so stark erlebt wie im Frühjahr 2020. Vor allem das Vorhandensein von Impfstoffen, Medikamenten und die Beobachtung, dass schwere Verläufe vor allem bei älteren Mitbürgern auftreten, wirken angstmindernd.

2. Der Umgang mit den Regeln ist bei vielen Menschen entspannter, die soziale Zirkulation ausgeprägter

Die meisten Bürger achten zwar auf die Regeln, sie beobachten, aber einen entspannteren Umgang mit ihnen. „Ich achte nicht mehr penibel darauf, was ich anfasse und desinfiziere auch kaum noch meine Hände.“ „Gute Freunde umarme ich auch wieder.“ Viele berichten, dass sie sich nicht mehr so stark sozial isolieren, sondern wieder vermehrt ihre Kontakte pflegen und Bekannte oder Verwandte treffen. Viele haben ihren Freundeskreis zwar abgesteckt, kreisen aber buchstäblich im Rahmen ihrer Freundeskreise. Auch beim Einkaufsverhalten erleben viele Bürger Unterschiede. Im Frühjahr 2020 war man bemüht alles in einem wöchentlichen Großeinkauf zu erledigen, jetzt verspricht der tägliche Einkaufs-Tourismus ein soziales oder sinnliches Highlight während des Lockdowns zu sein.

3. Verhalten der Bevölkerung lässt sich im Hinblick auf drei Gruppen differenzieren: Die Übervorsichtigen, die Regeltreuen mit Grauzonen und die Sorglosen

  • Die Übervorsichtigen haben meist alarmierende Corona-Erfahrungen (schwere Verläufe, Todesfälle, etc.) in ihrem sozialen Umfeld gemacht. Sie informieren sich immer noch stark über die aktuellen Corona-Entwicklungen und beschreiben, dass sie noch vorsichtiger agieren und sich noch stärker einschränken als im ersten Lockdown.
  • Die Regeltreuen pochen darauf, dass sie sich an die offiziellen Gebote und Verbote halten, eröffnen sich aber immer wieder kleine Grauzonen. Vor allem im privaten Rahmen oder draußen gestatten sie sich individuelle Auslegungen der Regeln und selbst verantwortete Freiheitsgrade. Sie grenzen sich stark von den Corona-Leugnern ab und achten darauf, sich nicht angreifbar machen. Im Verborgenen etablieren sie aber eine Art Schattenalltag, der es erlaubt die Entbehrungen und Einschränkungen des Lockdowns abzumildern.
  • Die Sorglosen versuchen die Corona Gefahr weitgehend zu ignorieren und halten sich nur im öffentlichen Raum an die Regeln. Hier finden sich Corona-Leugner, Menschen, die sich tendenziell unverwundbar fühlen, aber auch Menschen, die nach 10 Monaten Corona resigniert haben und nicht mehr an den Sinn oder die Wirksamkeit weiterer Einschränkung glauben.

4. Selbstwirksamkeit und gelegentliche Alltags-Durchbrüche werden im stillgelegten Alltag seelisch wichtig

Das stillgelegte Leben im Lockdown halten die meisten Menschen nur aus, indem sie tätig sind. Denn Nichtstun und Faulsein steigert die Ohnmachtserfahrungen, die sie gegenüber dem unsichtbaren und tückischen Feind Covid 19 erleben. Von daher arbeiten die meisten viel, oder sie suchen sich im häuslichen Umfeld Betätigungsfelder: Sie werkeln, kochen, backen, puzzeln, wandern, radeln, schauen Serien auf Netflix. Vor allem der tägliche Spaziergang wird als kollektives Ausschwärmen erlebt und schafft ebenso Natur- als auch Sozialverbundenheit. Ohne diese Handlungsmöglichkeiten haben viele Angst in der Stilllegung buchstäblich durchzudrehen. Möglichen Ausgangsperren sehen sie daher äußerst besorgt entgegen.

Nach der langen Zeit Lockdown äußern auch Bürger aller Altersgruppen zunehmend das Gefühl, dass ihnen das Leben durch die Finger rinnt, sie unwiederbringlich ihre Jugend oder die Freuden des Alters verpassen. Die Sehnsucht der Menschen wächst, mal wieder auszubrechen, sich mit andern zu treffen, ausgelassen zu feiern oder unbeschwert zu verreisen. Mitunter artikuliert sich diese Sehnsucht in sporadischen Alltags-Durchbrüchen wie privaten Zusammenkünften oder kleinen Exkursionen.

5. Fehlende Erfolgs-Erlebnisse fördern eine Corona-Korrosion

Als zunehmend zermürbend erleben es die Menschen, dass ihre Einschränkungen scheinbar nicht von Erfolg gekrönt sind und zu keiner spürbaren Reduktion der Infektionszahlen führen. Während im letzten Frühjahr die Zahlen sehr schnell runter gingen und zunehmend das Wetter besser wurde – was wie eine himmlische Belobigung erlebt wurde – wähnen sich die Menschen jetzt in einer Endlos-Dauerschleife, in der die guten Nachrichten wie der Impfstart sogleich wieder durch die Hiobs-Botschaften von Virus-Mutationen überschattet werden. Das schürt zunehmend eine resignative Stimmung in der Bevölkerung. Der Glaube, dass die Pandemie bald überwunden sein wird, schwindet zunehmend und der Ruf nach einer langfristigen Perspektive im Umgang mit Corona nimmt zu.

Als die eigene Disziplin zersetzend wird auch erlebt, wenn andere sich nicht an die Regeln halten. Dadurch wird der Sinn des eigenen Verzichts in Frage gestellt, man fühlt sich als der Dumme. Der Wunsch nach einer elterlichen Strenge, mit der die Maßnahmen überwacht und ihre Nichtbefolgung sanktioniert werden, wird häufig geäußert. Diese externe Strenge dient dabei auch als eigene Disziplinierungshilfe.

6. Erwartungen an die Politik: Geschlossenheit, Transparenz, Klartext und Konsequenz

Viele Maßnahmen der Politik werden derzeit nicht als verständlich, stimmig oder als konsistent erlebt. Zudem erleben viele Bürger, dass die öffentlichen Institutionen nicht in der Lage sind, die beschlossenen Maßnahmen konsequent umzusetzen oder zu überwachen. Generell mahnen die Bürger mehr Geschlossenheit, Transparenz, Klartext und Konsequenz in Richtung Politik an. Die konkreten Forderungen an die Politik unterscheiden sich jedoch bei den unterschiedlichen Gruppen. Die Übervorsichtigen wünschen sich statt einem wiederholt verlängerten Lockdown ein weitgehendes aber kurzfristiges Herunterfahren des Landes („Lock-Lockdown“) nach dem Motto: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“

Die Regeltreuen mit Grauzonen wünschen sich, dass die bestehenden Regeln erst einmal konsequent umgesetzt und sanktioniert werden oder sobald möglich durch differenzierte und gezieltere Maßnahmen ersetzt werden. Die Sorglosen wünschen sich eine rasche Aufhebung der Maßnahmen auch unabhängig von der Höhe der Infektionszahlen.

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