Endlich Sommer, endlich Zeit für Urlaub – eigentlich. Denn Reisen steht aktuell bekanntlich unter ganz anderen Vorzeichen als gewohnt. Warum es trotzdem wichtig ist, die Zeit gemeinsam als Familie zu verbringen, darüber hat SPA inside mit Kirsten Harms (www.kirstenharms.de) gesprochen. Sie ist Tourismus-Beraterin und Familientourismus-Expertin.

SPA inside: Was müssen Eltern beachten, wenn sie in diesem Jahr für sich und die Kinder Sommer-Urlaub buchen?

Kirsten Harms: Viele Familien benötigen dringend einen Tapetenwechsel. Die vergangenen Monate waren geprägt von einer unfreiwilligen Häuslichkeit, in der Eltern und Kinder viel mehr Zeit zusammen in den gemeinsamen Räumen verbracht haben als jemals zuvor. Dabei sind und waren die Bedingungen unterschiedlich. Der Umfang von Homeschooling variierte, die Wohnbedingungen und damit der Platz, der allen Familienmitgliedern zur Verfügung stand, waren verschieden. Ebenso waren viele, aber nicht alle, Eltern im Homeoffice. Alleinerziehende hatten einen noch größeren Spagat zu leisten als Paare. Kinder, die schwerer lernen, haben noch mehr unter diesen Umständen gelitten als andere. Auch wenn diese Zeit also unterschiedlich erlebt wurde, war es für alle Familien eine herausfordernde und lange Phase, in der Eltern und Kinder an ihre Grenzen gekommen sind und sehr auf sich als Familie zurückgeworfen waren. 

Kirsten Harms
Tourismus-Expertin Kirsten Harms: „Im Urlaub Neues entdecken und Interessen nachgehen, die in den vergangenen Monaten nur schwer zu befriedigen waren.“

SPA inside: Sollten wir überhaupt verreisen? Oder ist Balkonien, also der Platz zu Hause, in diesem Jahr die bessere Wahl?

Kirsten Harms: Das ist ein bisschen der Blick in die Kristallkugel: Wenn es möglich ist, sicheren Urlaub zu machen, ist ein Urlaub für die meisten Familien ein wahrer Lichtblick – und eine wichtige Zäsur im Corona-Alltag. Eltern und Kinder hungern nach Anregungen von außen, Kontakten und neuen Eindrücken. Im besten Fall können sie im Urlaub Neues entdecken und Interessen nachgehen, die in den vergangenen Monaten nur schwer zu befriedigen waren – etwa unterschiedlichen Sportarten nachgehen oder sich bei Wellness-Anwendungen erholen. Und so eine unbeschwerte Zeit als Familie abseits des im Vorjahr oft als anstrengend empfundenen Alltags erleben.

Viele Familien benötigen dringend einen Tapetenwechsel.

Kirsten Harms, Tourismus-Expertin

SPA inside: Haben sich generell die Ansprüche von Familien an einen Urlaub geändert – auch unabhängig von Corona?

Kirsten Harms: Nach meiner Erfahrung unterliegen die Urlaubsbedürfnisse von Familien ebenso einem stetigen Wandel wie die der Gesamtbevölkerung. Der allgemeine Trend zu Individualismus äußert sich bei Familien etwa darin, dass es für sie immer wichtiger wird, dass die Urlaubsbedürfnisse eines jeden Familienmitglieds befriedigt werden. Zeit als Familie, um sich neu zu entdecken, Zeit, in der die Kinder mit ihren Urlaubs-Spielkameraden spielen, Zeit für die Erwachsenen als Paar, Zeit für den Vater, alleine mit seiner Tochter aktiv zu werden oder Zeit als Erwachsener, sich ganz entspannt in einem Wellness-Bereich verwöhnen zu lassen. Die Herausforderung – schon bei der Urlaubsplanung – liegt daher darin, die einzelnen Urlaubsinteressen der Eltern und Kinder zu identifizieren und den Urlaub dementsprechend zu planen.

SPA inside: Ferienwohnung, Urlaub auf dem Bauernhof, Hotel, Familienhotel – wie können Familien herausfinden, was das Beste für sie ist?

Kirsten Harms: Das erste wichtige Kriterium für die Auswahl der passenden Unterkunft ist das gewünschte Komfortlevel: Zelt oder Hotelbett? Kochen oder Vier-Sterne-Restaurant? Das zweite Kriterium ist die Frage nach der Freizeitgestaltung: Stehen Sport, Kultur und/oder Wellness im Vordergrund? Und sind die Kinder glücklich, wenn es Tiere gibt – oder sollte es viele unterschiedliche Freizeitangebote geben? Und die dritte Frage, die sich stellt, ist die nach Spielkameraden für die Kinder: Reichen die Geschwisterkinder sich? Ist es sicher, dass andere Kinder vor Ort sind? Erhält man durch ein Kinderprogramm eine Garantie, dass die Kinder schnell Anschluss finden? Wenn man sich an diesen Faktoren entlanghangelt, ergibt sich meist schon eine Auswahl. 

SPA inside: Das Thema Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle, scheint es. Oder war das schon immer Thema bei Familien?

Kirsten Harms: Familien haben eine besonders starke Motivation, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen: Viele Eltern stellen sich die Frage, wie die Welt aussehen wird wenn ihre Kinder erwachsen sind und wie ihre Kinder wohl in der Zukunft auf unserer Erde leben werden. Und ältere Kinder und Jugendliche beschäftigen sich zunehmend in der Schule und durch die „Fridays for Future“-Bewegung inhaltlich mit den Konsequenzen unseres Handelns. Daher ist das Thema in vielen Familien präsent und wird dementsprechend auch bei der Urlaubsentscheidung wichtiger. 

SPA inside: Urlaub in großer Gruppe mit Großeltern und/oder befreundeten Familien: Was muss ich bedenken?

Kirsten Harms: Familien-Urlaub mit mehreren Generationen liegt absolut im Trend. Viele Familien wohnen weit entfernt voneinander und nutzen den Urlaub gerne, um sich mit viel Zeit wiedersehen zu können: Bruder und Schwester fahren beispielsweise mit ihren Familien und den gemeinsamen (Groß-)Eltern in den Urlaub. Toll: Die Bindung der Familienmitglieder zueinander, oft im Fokus die Großeltern-Enkel-Bindung, wird gestärkt, für alle eine Bereicherung. Und die Eltern haben vielleicht auch mal einen Abend für sich, weil die Großeltern das Babysitting übernehmen. Schwierig ist es dann, wenn die Erwartungen an den gemeinsamen Urlaub zu unterschiedlich sind und vorher nicht eindeutig genug über die jeweiligen Erwartungen, über die Ansprüche von gemeinsamer Zeit aber auch Abgrenzung gesprochen wurde. Das gilt genauso für den Urlaub mit einer befreundeten Familie. Da sollte unbedingt vorher geklärt werden, ob man den Urlaub komplett zusammen verbringen möchte oder sich einfach nur ab und zu treffen und etwas gemeinsam unternehmen möchte. Wer mit einer befreundeten Familie verreist tut dieses aus unterschiedlichen Gründen: Ein Spielgefährte für das Kind, der Wunsch nach Austausch und Geselligkeit genau mit diesen Menschen oder auch die gemeinsamen Interessen aller oder einiger Familienmitglieder, denen sie gemeinsam im Urlaub nachgehen möchten.

Familien-Urlaub mit mehreren Generationen liegt absolut im Trend.

Kirsten Harms, Tourismus-Expertin

SPA inside: Warum ist überhaupt ein gemeinsamer Urlaub wichtig?

Kirsten Harms: Ein gemeinsamer Urlaub stärkt die Familie in vielerlei Hinsicht. So fehlt im Alltag oft die Zeit für lange Gespräche und gemeinsame Unternehmungen. Im Urlaub bietet sich außerdem die Möglichkeit, sich untereinander noch einmal ganz neu zu entdecken, bspw. bei dem gemeinsamen Erlernen einer neuen Sportart oder Freizeitaktivitäten wie dem Besuch eines Hochseilgartens. Hier können sich die Rollen ändern, dann sind die Kinder einmal die, die den Eltern zeigen, wie etwas gemacht wird oder etwas besser können. Der andere Blick auf die Familienmitglieder führt zu einer anderen, manchmal überraschenden, Wahrnehmung untereinander und das tut der Familie gut. Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen und sind nicht zuletzt führen sie zu wunderbaren Erinnerungen!

Mehr rund ums Thema Sommer-Urlaub in Familie berichtet SPA inside in der Ausgabe Mai/Juni 2021. Das Heft gibt es am Kiosk, als E-Paper und im Abo.