Wie Social Media die Selbstwahrnehmung stört

Magersucht, Bulimie, Binge-Eating – das sind doch Phänomene aus den 90er und 00er-Jahren, oder? Damals, als Models den abgemagerten Heroin Chic zelebrierten und Popstars bauchfrei und ebenso skinny durch Musikvideos tanzten. Heute sind wir da auf jeden Fall weiter! Oder? Schließlich vermitteln erfolgreiche Curvy Models, Hashtags wie #bodypositivity oder #allbodiesarebeautiful und Fashion-Pieces in allen Größen den Eindruck, dass Jugendliche heute im Reinen mit sich und ihrem Körper sind. 

Doch die kürzlich von der AOK und dem Forschungsinstitut YouGov publizierte Umfrage kommt zu anderen Ergebnissen: Noch immer fällt es vielen Jugendlichen schwer, ihr Körpergewicht realistisch einzuschätzen. So schätzen Mädchen ihr Gewicht laut Befragung häufiger als „zu hoch“ ein – auch, wenn es das tatsächlich gar nicht ist. Doch auch Jungs hadern mit ihrem Körper.

Mädchen fühlen sich zu dick, Jungs zu schmächtig 

Dieses verzerrte Selbstbild geht sogar so weit, dass sich viele der männlichen Befragten durch alle Altersklassen als untergewichtig empfinden, obwohl sie es faktisch nicht sind. So haben etwa 38 Prozent der 18- bis 19-jährigen männlichen Befragten das Gefühl, untergewichtig zu sein. Tatsächlich sind es aber – gemessen an ihren eigenen Angaben zu Alter, Größe und Körpergewicht (BMI) – nur 8 Prozent.  

Bei den Frauen ist es genau umgekehrt. Über alle Altersklassen hinweg empfindet sich fast jede fünfte der weiblichen Befragten als übergewichtig, obwohl sie es faktisch gar nicht ist, sondern sich im Normbereich befindet. Am größten ist diese Diskrepanz bei den 16- bis 17-Jährigen mit über einem Viertel der Befragten (26 Prozent).

Quelle: Umfrage „Social Media x Körperwahrnehmung“ von YouGov im Auftrag des AOK-Bundesverbandes. Befragt wurden 1500 Social Media nutzende Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren in Deutschland. Erhebung: 14. bis 25. Februar 2023. 160 Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren wurde bei der Beantwortung der
Fragen von den Eltern assistiert.
Quelle: Umfrage „Social Media x Körperwahrnehmung“ von YouGov im Auftrag des AOK-Bundesverbandes. Befragt wurden 1500 Social Media nutzende Personen im Alter von 14 bis 30 Jahren in Deutschland. Erhebung: 14. bis 25. Februar 2023. 160 Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren wurde bei der Beantwortung der Fragen von den Eltern assistiert.

Von der Timeline zum Arzt – wenn Social Media krank macht 

Ebenso passen die Themen, über die sich junge Menschen in sozialen Medien informieren, sprichwörtlich ins Bild. So interessieren sich 62 Prozent der Befragten für Inhalte rund um Sport und Fitness und 25 Prozent für Diäten. Auch hier gibt es Unterschiede bei Mädchen und Jungen: 32 Prozent der weiblichen Befragten finden Themen rund ums Abnehmen besonders spannend, aber nur 18 Prozent der männlichen; während Bodybuilding das Interesse von 29 Prozent der Jungs weckt, aber nur für 17 Prozent der Mädchen interessant ist. Beim Gesamtwert aller jungen Menschen dagegen gleichen sich die beiden Geschlechter aus – es muss also genau hingesehen werden.  

Und dieses perfekte Bild, das da ständig bei anderen gesehen wird, muss natürlich auch die eigene Timeline hergeben. So bearbeiten fast alle (genau 97 Prozent) regelmäßig Bilder von sich, 19 Prozent davon verändern dabei die Körperkonturen, etwa an Bauch und Oberkörper.

Neue Dimension: Mager versus Masse

Dass der Druck auch auf Männer zunimmt, machen die Ergebnisse dabei sehr deutlich. Liveonline-Coach Dr. phil. Jürgen Theissing erklärt die Entwicklung wie folgt: „In früheren Studien wurde sich bisher insbesondere mit Mädchen beschäftigt. So sind mindestens 60 Prozent der Mädchen unzufrieden mit ihrem Körper. Der permanente Vergleichsdruck in der digitalen Welt und die vielfache Präsentation von scheinbar idealen Körperbildern erschweren den Aufbau eines gesunden Körperbildes. Und dieses gilt sicherlich auch für Jungs, daher ist die These durchaus möglich, dass Jungs sich zu „mager“, „schmächtig“ etc. fühlen und sich mehr „Masse“ wünschen, was im ungünstigsten Fall auch zu suchtartigem Trainieren führen kann.“


Mehr Informationen rund um die Studie finden Sie auf der Webseite der AOK unter diesem Link.