Der deutsch klingende Nachname verrät: ihre seit Generationen im Osten Frankreichs beheimatete Familie kam einst aus Österreich. Und hatte mit Parfums nichts zu tun. Doch schon früh stellte Nathalie Feisthauer ihre Faszination für Düfte fest. „Bereits mit 16 roch ich Opium von Yves Saint Laurent. Ich war burschikos, meine Reaktion: das ist nichts für mich! Doch die Schönheit des Duftes holte mich ein, betörte mich. Ich nahm den Parfümeur als Künstler wahr, war beeindruckt und wollte in diesem Bereich arbeiten. Nach dem Schulabschluss bewarb ich mich an verschiedenen Stellen. Dann rief mich Meisterparfümeur Jean-Louis Sieuzac, damals bei Roure tätig, an. Am Ende hatte ich die Stelle – für einen Outsider fast unmöglich!“ Lustige Anekdote: „Was ist Dein Lieblingsparfum?, fragte mich Sieuzac. Ich sagte: Opium! Er war wohl geschmeichelt – ist er doch die Nase des Welterfolgs. Doch das erfuhr ich erst später.“ Während der Ausbildung begriff sie: „Ein Parfümeur zu sein, heißt, Zeit, Geduld und Leidenschaft in Einklang zu bringen. Heutzutage laufen wir alle der Zeit hinterher, wir wollen beschleunigen. Doch es braucht Zeit, damit etwas wirklich Gutes entsteht.“
Feisthauer arbeitet gerne mit Hölzern und Gewürzen, nennt aber zuerst das hochpreisige, animalische Ambrette sowie Ambretolide, die synthetische Version des Rohstoffes, als Favoriten. „Wenn ich könnte, würde ich beide Ingredients immer und überall verwenden.“ Ihr Portfolio ist breit, ein Indiz für Flexibilität und Einfühlungsvermögen. „Es war eine große Freude, für Häuser wie Hermès oder Cartier zu arbeiten. Die Artdirektoren geben eine Richtung vor, leiten den kreativen Prozess. Es gibt eine Vision, die den menschlichen und künstlerischen Austausch fördert.“ Zahlreiche Projekte im Bereich Artistic Perfumery unterstreichen ihre gestalterische Breite. „Oft sind Nischenmarken von der kreativen Vision ihrer Schöpfer abhängig. Beispiel Comme des Garçons. Direktor Christian Astuguevieille erzählte mir die Ideen, die er für seine neuen Düfte im Kopf hatte, ich kreierte. Er akzeptierte die Kreationen – oder wies sie zurück. Es gab kein Dazwischen.“ Für neue Marken arbeitet sie besonders gern, wenn gegenseitiges Verständnis und Vertrauen besteht. Hier zahlt sich Feisthauers Charakter aus. Offen, herzlich und ausstrahlungsstark äußert sie Ansichten klar, präzise, aber stets mit Verstand, Witz und Charme. Oft wird sie wegen ihrer olfaktorischen Handschrift kontaktiert: exakt geschriebene, kurze und stringente Formeln. Sie verzichtet lieber auf kommerzielle Noten, die überall genutzt werden und einen Duft eventuell billig wirken lassen oder ihn verwässern. Jeder Inhaltsstoff hat seine Bedeutung – lieber weniger als mehr.
In der turbulenten Corona-Zeit findet das Interview statt. Welche Effekte hat das Virus auf ihre Arbeit? „Ich arbeite aktuell an Projekten, zu denen ich bisher nie kam. Ich glaube, die Gesellschaft wird die Corona-Phase dazu nutzen, Lebensstile zu überdenken. Es wird wieder klarere, transparentere Düfte geben – ähnlich wie in der Beauty, wo es verstärkt um Inhalte und Nachhaltigkeit geht. Ein Teil der Menschen wird Sinn suchen. Düfte sollen etwas bedeuten“, prognostiziert sie. Für ihre Arbeit zieht die Parfümeurin ein positives Resümee: „Meine Vermutung ist: Es wird nach Corona sogar ein verstärktes Interesse an der Nische geben.“ Mit Mann Pierre gründete sie LABScent: sie Kreateurin, er Finanzchef. Das ist auch nach der Trennung vom Vater ihrer Kinder Melchior (18) und Abigail (16) so. Das Kreativstudio in einer alten Kunstgalerie liegt fünf Gehminuten von Sacré-Cœur und ihrer Privatwohnung weg. Dort gärtnert sie auf der Dachterrasse, kocht und bewirtet gern. Sie hört extrem gut zu, nimmt Veränderungen der Mimik, Gestik und Stimmung ihres Gegenüber schnell und exakt wahr. Für ihre Kompositionen wurde Feisthauer bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem adelte man sie 2019 mit dem russischen Duftstar für ihr kreatives Werk als „Parfümeurin des Jahres“. Für einen dynamischen, kreativen Geist sind auch Phasen der Entspannung und Muße wichtig. Wo entspannt die Französin am besten? Herunterfahren und Abschalten gönnt sie sich auf Reisen nach Thailand, Mexiko, nach New York, Florida – oder an die französische Riviera, wo sie mit Familie und Freunden Abstand gewinnt.
Nathalie Feisthauer hat eine ungewöhnliche Sicht auf den Handel: Den Nischenmarkt findet sie nicht übersättigt. Händler würden den Marken als Wegbereiter Entwicklungspfade aufzeigen. „Es ist nicht leicht, all die Aspekte einer nachhaltigen Marke abzudecken: ehrliche Kreationen, Exzellenz in der Duftstruktur, Talent, Hingabe und Ausdauer der Macher.“ Für Feisthauer sind diese Werte wichtig, um Marken auf lange Sicht erfolgreich zu machen. Die Parfümeurin sieht Händler nicht primär als Verkäufer, sondern deren Stores als Meeting Points, an denen sich Parfummarken und Parfumliebhaber treffen. „Händler müssen sowohl ihre Düfte als auch ihre Kunden kennen, um magische Momente der ersten Begegnung, des ersten Kennenlernens zu ermöglichen.“ Durch bestmögliches, wechselseitiges Verständnis gelinge der Verkauf.
Dr. Bodo Kubartz