Weitab von der realen Welt der Parfums und des herkömmlichen Parfum-Marketings… Eine Rekonstruktion des mittlerweile fünf Jahre andauernden Duftprojekts der New Yorker Künstlerin Lisa Kirk, das Insider Ulrich Lang bei der Global Art of Perfumes in Düsseldorf präsentierte. Er berichtet für INSIDE beauty aus den USA.

Eine E-Mail der amerikanischen Künstlerin Lisa Kirk an mich lautete wie folgt: „Hey darling… I am wondering if we could meet up for a drink so I can pick your brain about perfume manufacturing.“ Sie wusste damals, im Jahr 2005, dass ich nach meiner Tätigkeit in der Kosmetikbranche und in New Yorker Kunstverlagen 2003 einen eigenen Duft („anvers“) kreiert hatte. Ich wiederum wusste, dass sie eine sehr coole Künstlerin mit spannenden und recht radikalen Projekten war.

Was ich nicht wusste: dass sie an einem Parfum arbeitete, das später „Revolution“ heißen sollte. Und was wir beide nicht wussten: dass uns dieses Projekt bis ins Jahr 2010 (und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darüber hinaus) begleiten sollte. Aber der Reihe nach… Was bringt eine bildende Künstlerin dazu, sich mit Duft auseinanderzusetzen? In Lisa Kirks Fall ein Schlüsselerlebnis in einer New Yorker Hotelbar: Dort traf sie einen Parfumeur, der sie fragte, welches Parfum sie trägt (Agent Provocateur). Sie fand seine Profession interessant und erklärte ihm, dass sie auch gerne einen Duft machen würde (wie J.Lo!) und schrieb ihm ihre Telefonnummer auf sein Smokinghemd. Am nächsten Tag rief der Parfumeur zurück: Seine Firma würde sehr gerne mit ihr arbeiten. Lisa überlegte sich ein Konzept. Als politische Aktivistin war sie gegen die Bush-Administration und den Krieg im Mittleren Osten und sagte, „wenn wir keine Revolution beginnen können, dann sollten wir einen Duft kreieren, der nach Revolution riecht.”

Wie Revolution riecht davon hatte Lisa Kirk keine Ahnung. Daher kontaktierte sie Revolutionäre in Mexiko, sprach mit Mitgliedern der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Black Panther, sprach mit Ex-Mitgliedern der linken militanten Untergrundorganisation und mit französischen Philosophen. Daraufhin kreierte sie mit der Parfumeurin Patricia Choux einen „Duft“, der nach Revolution riecht: Nach Tränengas, nach verwestem Fleisch, nach Blut, nach verbranntem Gummi, nach Urin. „Revolution“ riecht vor allem sehr stark nach Rauch und ist keinesfalls unangenehm. Man könnte diesen Konzeptduft durchaus als tragbar bezeichnen.

Mit vermummten, Skimasken tragenden Personen wurde „Revolution“ 2006 im New Yorker art space Participant Inc. lanciert und das Kunstmagazin Artfo- rum beschrieb den Duft auf seiner Webseite als „Kombination von Patchouli und Körpergeruch”. Im Oktober 2007 installierte die Künstlerin ein imaginäres Duftlabor, eine Art Terroristenversteck im P.S.1 Contemporary in Long Island City, einem Ableger des Museum of Modern Art in Manhattan. Das Labor war auf den Kopf gestellt, eine Metapher für unsere Welt. 2008 beschloss Lisa Kirk eine passende Verpackung für den Duft zu schaffen und kreierte in Zusammenarbeit mit der in New Yorks Lower East Side ansässigen Goldschmiedin Jelena Behrend ein Objekt, das einer Rohrbombe detailgenau nachmodelliert ist. Die Rohrbomben sind aus Sterlingsilber, 14 Karat Gold und Platin und werden über Participant, Inc. zu Preisen zwischen 4000 und 40.000 Dollar auf Anfrage hergestellt. Im August 2009 kontaktierte ich die Künstlerin, da ich vorhatte, auf der Duftmesse Pitti Fragranze in Florenz einen Vortrag zum Thema zeitgenössische Kunst und Duft zu halten.

„That sounds great! would love to do it. I have a commercial that we made too…“ war ihre spontane Antwort. Das Video, vom New Yorker Fotografen Gabriel Jeffrey gefilmt, ist sensationell: Unterlegt mit dramatischer Musik zeigt es zwei Scharf- schützen, männlich und weiblich, die über den Duft Revolution zueinander finden. Am Ende wird die Rohrbombe aus Edelmetall gezeigt und der Slogan „Revolution, a fragrance for men and women“ eingeblendet. Das Video ist eine (humorvolle) Kritik am Marketing von Luxusgütern. Es war an der Zeit, eine kommerziellere Variante des Duftes zu entwickeln und ich schlug vor, Revolution in einer kleinen Flasche zu verkaufen. Lisa und ich kontaktierten Patricia Choux Anfang 2010, um eine günstigere Version des „Rohrbomben-Dufts“ herzustellen, füllten diesen in kleine Laborfl aschen und fanden in 8a, einem der progressivsten Concept Stores New Yorks, der sich im trendigen Ace Hotel befindet, einen perfekten Partner. Das Ace Hotel auf der 29. Straße liegt im Zentrum der gefälschten Düfte, die in Läden entlang des Broadways verkauft werden. Uns gefiel der Kontext und das Ace Hotel schlug vor, das Video zu Revolution in den Hotelzimmern als video-on-demand zu offerieren. Seit Mai kann jeder Gast den Revolution-Spot im Zimmer ansehen. Der Duft ist im No.8a-Shop für $50 (12 ml) erhältlich.

SmartSpaces lädt Künstler ein, Installationen in leerstehenden Ladenlokalen zu schaff en, um mögliche Interessenten für die gewerblichen Immobilien zu gewinnen. Diese Organisation kontaktierte Lisa Kirk und die Künstlerin war damit einverstanden, eine Installation in den Schaufenstern von 1133 Broadway (wenige Blocks vom Ace Hotel entfernt) zu zeigen. Seit Mai sieht man dort einen auf dem Kopf stehenden Raum mit Zeitzündern und Propangasfl aschen. Die Tür steht off en und Rauchschwaden (maschinell erzeugt) gelangen ins Innere. Im danebenliegenden Schaufenster befinden sich alle Elemente der Revolution-Parfums: Die Rohrbombe, kleine Laborproben sowie eine neue Bronzeskulptur, die eine Zeitbombe mit Dynamit und Timer darstellt und künftig passende Duftkerzen enthalten wird: Sie verströmen den Duft von französischer Revolution, Vietnam, 1968 und Baghdad. Am 2. Mai, als ein versuchter Sprengstoffanschlag eine Evakuierung des gesamten Times Squares erforderte, holte die Wirklichkeit die Fiktion ein. Passanten dachten, dass es sich bei Lisa Kirks Installation ebenfalls um einen terroristischen Hintergrund handeln könnte. Die Polizei riegelte daraufhin die Ausstellung ab, die bereits am nächsten Tag wieder geöff net wurde. Indessen denkt Lisa Kirk über die nächste Revolution nach… diese wird voraussichtlich im Sommer in Berlin stattfinden.