Warum Gäste in der aktuellen Krisensituation ihren Fokus auf sich selbst richten – Wer heute in ein Hotel reist, erwartet Ruhe und Entschleunigung.
von Thomas Ebenfeld
Die aktuellen Krisen und Konflikte haben bei den Menschen auch psychisch Spuren hinterlassen – sie erleben das Weltgeschehen als überwältigend und haben in vielerlei Hinsicht das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. ,,Stapelkrise“ ist ein Wort, das diese Befindlichkeit zum Ausdruck bringt. Es gibt nicht mehr eine Abfolge von Krise und Lösung, sondern eine ungelöste Krise folgt auf die nächste.
Das hat dazu geführt, dass auch der Konsum unter anderen Vorzeichen stattfindet. Bis zur Corona-Pandemie regierte der ,,gierige Konsument“, der alles sofort verfügbar haben wollte. Beispiele dafür sind etwa der Boom des Online-Handels oder die Erfolge der Streaming-Plattformen, die zu jeder Tageszeit ununterbrochenen Medienkonsum ermöglicht haben.
Doch die Pandemie und die Krisen danach (Klima, Krieg, Energie und Inflation) haben aus dem gierigen einen zunehmend paradoxen Konsumenten gemacht, der in einem Spannungsverhältnis lebt: Einerseits nimmt sich der Mensch wahr als ein Individuum, das hilflos einem Mahlstrom an Megatrends gegenübersteht, andererseits scheint jeder einzelne zugleich für alles verantwortlich gemacht zu werden.
Thomas Ebenfeld ist Psychologe und Experte für tiefenpsychologische Marketingforschung sowie Mitbegründer der Global Research Boutique Concept M und der Marketingberatung Flying Elephant.
Kontakt: thomas.ebenfeld@conceptm.eu
Suche nach Stabilität
Wie aber gehen die Menschen mit dieser Paradoxie um? Ein Ausweg ist, dass sie verstärkt für sich Stabilität und Resilienz suchen. Insbesondere die Körperbezogenheit der Generation Z lässt sich vor diesem Hintergrund verstehen: Die Physis ist hier ein Königsweg zur Beeinflussung der Psyche – das geheime Ziel des Körperkults ist die Seele. Man macht sich resilient und stark, man lernt mit Widerständen (z. B. in Form von Gewichten) umzugehen und mit Energie dem Leben zu begegnen.
Die junge und (selbst-sensible) Generation hat eine eigene Achtsamkeits-Philosophie angenommen, die ihr Leben positiv auflädt und zugleich entkrampfen soll: Man soll sich wohl in seiner Haut fühlen, ein positives Verhältnis zu sich und seinem Körper haben und ihn pflegen. Gesund ist, was gut tut und glücklich macht. Dabei entsteht ein eigenes: ,,Sei entspannt du selbst!“ Das ist das psychologische Fundament, das dem gegenwärtigen Boom von Wohlfühl- und Wellness-Angeboten der unterschiedlichsten Art zugrunde liegt.
Wer sich selbst ein Wellness-Wochenende gönnt, wer sich eine Auszeit in der Sauna nimmt, wer sich Massagen bucht, schafft auf einer oberflächlichen Ebene Abstand zu einem wie auch immer ,,härter“ gestalteten Alltag. Er kommt in eine Wohlfühloase, in der einem körperlich und damit auch geistig so viel Gutes zuteil wird.
Stärkere Selbstpflege
Die verschiedenen Betätigungen zur Selbstpflege drücken ein tief empfundenes Bedürfnis nach Regression und kindlicher Geborgenheit aus. Das Baden in wohltemperiertem Wasser kann als unbewusster Wunsch verstanden werden, sich wieder wie im warmen Mutterleib geborgen zu fühlen, die Wellness-Massage fungiert als Reminiszenz an mütterlich-liebevolle Streicheleinheiten.
Bei den Wohlfühl-Momenten geht es darum, wieder in Kontakt mit dem eigenen Ich zu treten und sich selbst wieder zu spüren. Deshalb sind insbesondere die Aufenthalte in Wellness-Hotels, Spas und Saunen geprägt von Ruhe, Abgeschiedenheit und Entschleunigung. Der Fokus richtet sich auf die eigenen Sinne, auf die Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers.
Vom Druck im Alltag befreien
Die Metapher von der Balance wird gerne bemüht. Körper, Geist und Seele sollen in ein Gleichgewicht gebracht werden. Das Ich soll sich im Einklang mit einem größeren Ganzen (Natur, Universum, Göttliches) befinden. Vielfach ist dies mit immer wiederkehrenden Ritualen oder Abfolgen von Handlungen verbunden, um die harmonische Gegenwelt greifbar zu inszenieren.
Das Wohlfühlen ist in diesen Settings immer auch eine Entfesselung von einem Leistung- und Perfektionsdruck, den die Menschen in der Alltagswelt für sich empfinden. Man macht sich frei von dem Druck, immer jung, schlank, schön, fit sein zu müssen. Die ,,Wohlfühl-Räume“ bilden diesen Anspruch in aller Regel nach, indem sie bewusst puristisch und ursprünglich gehalten werden – als Beispiel sei das allgegenwärtige Kaminfeuer genannt.
Statt üppig zu genießen, geht es heute darum, möglichst bewusst zu leben. Statt Konsumieren ist Fühlen und Spüren angesagt. Statt sich selbst narzisstisch zu inszenieren, versuchen viele Menschen nun authentisch zu sein und sich von äußeren Zwängen zu befreien.
Wie aber sieht die Zukunft des ,,Wirkungsraums Wohlfühlen“ aus? Die Forschung von Concept M hat einige Anhaltspunkte erarbeitet, an denen sich ablesen lässt, welchen Stellenwert das Thema Wellness in der Gesellschaft zukünftig haben und wie es sich weiterentwickeln wird.
Von grundlegender Bedeutung ist das Thema Resonanz. Gemeint ist damit ein Gefühlsmodus, in dem man sich eins mit sich und der Welt fühlt. Wichtig ist dabei ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, der Eindruck, dass man etwas bewegen, berühren und hinterlassen kann in dieser Welt. Dadurch kann man sich selber wieder spüren, sich vergewissern, dass man wirklich lebt. Die Sphäre von Wellness soll der des seelenlosen Konsums enthoben sein.
Entspannte Authentizität
In diesem Zusammenhang erfährt auch der Luxusbegriff eine neue Bedeutung. Es geht nicht mehr um Opulenz, vielmehr wird Luxus verstanden als Instrument zur Sinnfindung und Identitätsstiftung. Wellbeing, Achtsamkeit und Resonanz zeigen dabei starke Züge des weiblichen Prinzips. Der rauen männlichen Welt des Tuns und Durchsetzens steht die empfindsame weibliche Welt des Seins gegenüber. Hierarchie versus Partnerschaft. Eingreifen versus Anpassen. Performance versus Harmonie.
Zentrale Aspekte künftiger Wohlfühlwelten sind deshalb die Selbstwirksamkeit und die (kreative) Entfaltung des Selbst (Werde, der du bist). Fundamental wird es auch sein, Gästen das Gefühl zu vermitteln, einer größeren Einheit anzugehören und sich selbst in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Der Stellenwert des Spirituellen wird also zunehmen. Und schließlich möchten die Menschen eine Ganzwerdung verspüren, die sie mit den Brüchen der modernen Welt versöhnen kann.
Diese Entwicklung birgt allerdings ein Risiko: Wenn es darum geht, möglichst authentisch und relaxed zu sein, hat das auch neues Stresspotenzial: Bin ich authentisch genug? Bin ich entspannt genug? Es ist also wiederum wichtig, darauf zu achten das es keine Entspannung aus ,,Zwang“ wird.